Kultur

lesetipp: Wilder Trip in die Vergangenheit

T. C. Boyles “Das Licht” zeichnet ein ironisches Portrait der Hippieära

Cambridge 1962: Der Student Fitz Loney wird von seinem Doktorvater auf eine geheimnisvolle Party eingeladen. Doch aus der Hoffnung auf einen Karrieresprung wird der Beginn eines schrägen Drogentrips. Denn der aufstrebende und charismatische Professor, der seine Mitarbeiter regelmäßig zu sogenannten ‚Sessions‘ einlädt, ist kein anderer als der berüchtigte LSD-Guru Timothy Leary, der im Dunstkreis der aufkommenden Hippiebewegung die Psychologie mit Hilfe psychedelischer Persönlichkeitsexperimente erneuern will. Die Hoffnungen dieser Bewegung, ihre Irrtümer und ihr Scheitern deckt T.C. Boyle in seinem neuen Roman „Das Licht“ wie gewohnt genüsslich böse und unterhaltsam auf.

Drogenexperimente und freie Liebe
Fitz und seine Frau Joanie haben sehr früh geheiratet, der gemeinsame Sohn Corey ist bereits ein Teenager. Fitz, Anfang 30, möchte nun seine Karriere entscheidend vorantreiben und hat eine Assistentenstelle bei dem jungen Psychologieprofessor Leary ergattert. Seine Frau Joanie hat nach der Geburt des Sohnes ihr eigenes Studium unterbrochen und jobbt nun in der Bibliothek, um die Familienkasse aufzubessern. Die brave Ehefrau leidet jedoch unter dem Verlust ihrer beruflichen Perspektiven, während ihr Gatte scheinbar eine glänzende Laufbahn einschlägt.
Als die beiden von Professor Leary endlich auch zu einem abendlichen Treffen seines „inneren Kreises“ eingeladen werden, reagieren sie zunächst geschockt: unter dem Deckmantel eines wissenschaftlichen Experiments wird hier feucht-fröhlich und ausschweifend gefeiert. Der vermeintlich seriöse Wissenschaftler verabreicht an seine Gefolgsleute Drogen wie Arznei. Das „Sakrament“ – so nennt er das LSD, das sie dazu führen soll “das Licht” zu sehen und ein kollektives Bewusstsein zu entwickeln.
Die Droge, damals in den USA im Gegensatz zu Marihuana ein legales Mittel, lässt die beiden unerfahrenen Teilnehmer sogleich einen wilden Trip an die Grenzen des moralisch und gesellschaftlich Vorstellbaren erleben. Das biedere Ehepaar findet jedoch sehr schnell Gefallen daran, dem allzu engen Alltag zu entfliehen und sich den Versprechungen von Erleuchtung, Selbstfindung und einer besseren Gesellschaft hinzugeben. Natürlich muss dieses gleichermaßen naive wie gefährliche Experiment kläglich enden – das ironische Erzählen vom Scheitern alternativer Gesellschaftsentwürfe und Utopien ist schließlich Boyles literarisches Steckenpferd.

Zwischen Utopie und Horrortrip
Bitterböse und komisch lässt der Autor seine Figuren in die Katastrophe schlingern: schnell fliegen die vermeintlich wissenschaftlichen Studien als unseriös auf und Leary wird aus Harvard entlassen. Gemeinsam mit anderen folgen Fitz und Joanie ihrem Guru nach Mexiko und später in eine Kommune in Upstate New York, wo ein Trip auf den nächsten folgt – begleitet von orgiastischen Partys und freier Liebe. Sie erleben Bewusstseinserweiterung mit allen Sinnen und streben nach einer freieren Gesellschaft, allerdings mit fatalen Folgen.

T. C. Boyles Erfolgsrezept
T.C. Boyle ist einer der renommiertesten und gleichzeitig erfolgreichsten amerikanischen Autoren der Gegenwart. In seinem bereits 16. Roman praktiziert der 70jährige Autor sein bewährtes Erfolgsrezept, indem er eine schillernde historische Persönlichkeit in einem gelungenen Mix aus Fiktion und Realität neu beleuchtet und dabei – scheinbar nebenbei – vom Scheitern gesellschaftlicher Utopien erzählt. Dabei geht es Boyle nie um eine Verklärung dieser Figuren, sondern vielmehr um deren zerstörerische Wirkung auf andere. Boyle fasziniert das Phänomen des charismatischen Führers und er konfrontiert uns als Leser mit unangenehmen Fragen: Führt jeder Versuch, die Welt zu verbessern ins Chaos? Brauchen auch intelligente Menschen Führerfiguren? Wo sind unsere Grenzen als Individuum und als Gemeinschaftswesen? Warum fallen wir auf Scharlatane und Blender herein?

Mit „Das Licht“ liefert Kultautor T.C. Boyle einen intelligenten und bitterbösen Pageturner, der dazu einlädt, verregnete erste Frühlingstage auf dem Sofa zu verbringen. Wir folgen als Leser gerne dem schrägen Trip in die Hippieära, begegnen dabei schillernden Persönlichkeiten der jüngeren Vergangenheit und ahnen schon bald das klägliche Ende einer scheinbaren Gesellschaftsrevolution – und einer scheinbar harmonischen Ehe.

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